Kein Zahnarzthonorar bei unbrauchbarem Zahnersatz ohne Nutzungsinteresse

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OLG Köln, Urteil vom 03.02.2025, Az. 5 U 84/24

Zusammenfassung

Das OLG Köln befasst sich in seinem Urteil vom 03.02.2025 mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen

  • eine Nutzung einer objektiv unbrauchbaren zahnärztlichen Versorgung vorliegt,
  • die ein Interesse des Patienten an der Leistung des Zahnarztes begründet und
  • zum Fortbestand des Honoraranspruchs des Zahnarztes führt.

Sachverhalt

Streitig war ein Zahnarzthonorar in Höhe von 3.162,96 EUR für eine Versorgung der Frontzähne des Oberkiefers mit 4 Kronen. Unmittelbar nach Eingliederung im November 2021 hatte der Patient diverse Mängel gerügt: Passungenauigkeiten, farbliche Unterschiede, störende Schleifspuren verbunden mit Schmerzen, Problemen beim Sprechen und Essen. Da die Mängel in den Folgeterminen durch die Zahnärztin nicht behoben wurden, suchte der Patient im Frühjahr 2022 einen anderen Zahnarzt auf. Nach Besprechung der notwendigen Maßnahmen erstellte der Nachbehandler einen Heil- und Kostenplan. Der Patient beauftragte zeitnah einen Anwalt und verweigerte die Zahlung der Rechnung. Daraufhin wurde das Klagverfahren eingeleitet. Während des Verfahrens trug der Patient die Versorgung bis zur Anhörung des Gerichtsgutachters im April 2024 weiter. Die Vorinstanz verurteilte den Patienten zur Zahlung (LG Köln, Urteil vom 05.09.2024 ). Das OLG änderte hingegen das Urteil und wies die Zahlungsklage ab.

Wann entfällt der Honoraranspruch eines Zahnarztes?

Das OLG hielt fest, dass der Vergütungsanspruch eines Zahnarztes entfallen könne, wenn die fehlerhaft erbrachte Leistung infolge einer Kündigung des Vertrages für den Patienten kein Interesse mehr habe. Voraussetzung hierfür sei, dass die zahnärztliche Leistung für den Patienten vollkommen unbrauchbar sei. Es genüge allerdings nicht, dass sie objektiv wertlos sei, wenn der Patient sie gleichwohl nutze. Eine Leistung sei für den Patienten nur dann vollständig unbrauchbar, wenn ein Nachbehandler auf ihr nicht aufbauen und durch eine Nachbesserung gegenüber einer Neuherstellung Arbeit ersparen könne (BGH, Urteil vom 29.03.2011 ). Handele es sich gemessen an diesem Maßstab um eine für den Patienten wertlose Leistung, bleibe der Vergütungsanspruch gleichwohl dann erhalten, wenn der Patient die – objektiv wertlose – Leistung tatsächlich nutze, sie für ihn daher subjektiv von Wert sei.

Nach Ansicht des OLG war die Kündigung des Behandlungsvertrags durch den Patienten berechtigt. Den sachverständigen Feststellungen zufolge sei die eingesetzte Zahnprothetik mangelhaft gewesen. Der Zahnersatz habe nicht dem zahnmedizinischen Standard entsprochen. Die Leistungen der Zahnärztin seien völlig unbrauchbar gewesen. Alle vier Kronen seien fehlerhaft gewesen und hätten vollständig erneuert werden müssen. Auf eine erneute Nachbesserung durch die Zahnärztin habe sich der Patient nicht einlassen müssen. Seine unmittelbar nach Versorgung geäußerten Beschwerden (Lispeln, (Druck-)Schmerzen, Farbunterschiede) hätten trotz Nachbehandlung jedenfalls teilweise fortbestanden. Passungenauigkeiten der Kronenränder seien nicht thematisiert worden. Eine Nachbesserung habe die Zahnärztin nicht für notwendig gehalten und daher auch nicht angeboten.

Relevante tatsächliche Nutzung

Zwar habe der Patient die Prothetik über einen Zeitraum von etwa 2 Jahren und 8 Monaten genutzt. Anders als Landgericht ging das OLG jedoch nicht von einer dem Entfallen des Honoraranspruchs entgegenstehenden tatsächlichen Nutzung der Zahnprothetik durch den Patienten aus.

Das OLG betonte, dass eine tatsächliche Nutzung nicht schon dann vorliege, wenn ein Patient die Versorgung für einen noch so kurzen Zeitraum im Mund trage. Eine tatsächliche Nutzung liege vielmehr dann vor, wenn der Patient die Versorgung auch tatsächlich als Versorgung nutzen wolle, obwohl er eine reelle und zumutbare Möglichkeit habe, sie nicht zu nutzen. Sie liege nicht vor, wenn sie nur als Notmaßnahme zur Vermeidung eines eventuell noch größeren Übels weiterverwendet werde. Sie müsse letztlich Ausdruck dessen sein, dass der Patient noch ein gewisses „Interesse“ an ihr habe. Ein solches Nutzungsinteresse, das über die Situation einer Notmaßnahme hinaus gehe, werde etwa anzunehmen sein, wenn über einen längeren Zeitraum keinerlei Anstrengungen unternommen würden, die die ernste Absicht einer Neuversorgung erkennen ließen, etwa die Erstellung eines Heil- und Kostenplans durch einen Nachbehandler. Gleiches sei der Fall, wenn eine behauptete und womöglich zunächst auch in die Wege geleitete Neuversorgungsabsicht über einen unverständlich langen Zeitraum hinweg nicht ernsthaft weiterverfolgt werde.

Kein Nutzungsinteresse trotz jahrelangem Tragen

Nach diesen Grundsätzen verneinte das OLG ein Nutzungsinteresse des Patienten. Er habe die Versorgung zu keinem Zeitpunkt akzeptiert. Bereits zwei Monate nach Abbruch der Behandlung bei der Zahnärztin habe er sich bei seinem Nachbehandler vorgestellt. Dort sei nach Besprechung der erforderlichen Behandlungsmaßnahmen im April 2022 ein Heil- und Kostenplan erstellt worden. Zwei Monate später habe der Patient seine jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen beauftragt. Die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens sei nicht geboten gewesen. Denn bereits im September 2022 sei Klage auf Zahlung von Zahnarzthonorar erhoben worden. Der Patient habe erwarten dürfen, dass auf seine Mängeleinrede die Frage der Fehlerhaftigkeit des Zahnersatzes durch einen gerichtlichen Sachverständigen überprüft werden würde, wie es dann auch tatsächlich geschehen sei. Zu einer deutlich schnelleren Beweisaufnahme wäre es auch dann nicht gekommen, wenn der Patient ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet hätte.

Ein Nutzungsinteresse werde auch nicht dadurch indiziert, dass der Patient nicht unmittelbar nach Erstellung des für ihn günstigen Gutachtens mit der Erneuerung des Zahnersatzes begonnen, sondern bis zur Anhörung des Gerichtssachverständigen im April 2024 mit der Neuversorgung seiner Zähne zugewartet habe. Unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung habe der Patient im Juni 2024 die vier Kronen auf den oberen Frontzähnen entfernen lassen. Der Patient hätte ein nachvollziehbares Interesse daran gehabt, das Ergebnis der Beweisaufnahme, die erst mit Anhörung des Gerichtssachverständigen beendet gewesen sei, abzuwarten. Der Umstand, dass zwischen Erstattung des schriftlichen Gutachtens und der mündlichen Anhörung des Sachverständigen insgesamt 11 Monate vergangen seien, habe außerhalb des Verantwortungsbereichs des Patienten gelegen und könne daher ein Nutzungsinteresse nicht belegen.

Provisorien – Keine wirtschaftlich verwertbare Teilleistung

Auch für die Provisorien sei keine Vergütung geschuldet. Wirtschaftlich verwertbare Teilleistungen, für die eine Vergütung verlangt werden könnte, lägen nicht vor. Da die Provisorien als Zwischenlösung vor Einsatz der Kronen gedient hätten, würden sie keinen eigenen wirtschaftlichen Wert mehr besitzen. Sie stellten keine Leistung dar, auf die ein Nachbehandler aufbauen könnte. Zumal davon auszugehen sei, dass der Nachbehandler neue Provisorien anfertigen werden müsse.

Anmerkung: Bedeutung der Entscheidung für Zahnärzte und Patienten

Die Entscheidung des OLG Köln unterstreicht, dass zwischen der Tragedauer eines mangelhaften Zahnersatzes und einem Nutzungsinteresse, das den Honoraranspruch des Zahnarztes aufrechterhält, kein Automatismus besteht. Selbst wenn eine objektiv unbrauchbare Versorgung über einen längeren Zeitraum (hier rund 2 Jahre, 8 Monate) getragen wird, beweist das allein keinen Nutzungswillen durch den Patienten. Zu berücksichtigen sind – wie immer – die Umstände des Einzelfalls: Nutzt der Patient den bemängelten Zahnersatz bewusst weiter, obwohl er die Möglichkeit hatte, ihn ohne unzumutbare Nachteile zu ersetzen, und ohne Anstalten zu machen, seine Beanstandungen verifizieren zu lassen? Oder: Hat der Patient einen neuen Zahnarzt aufgesucht? Wurden Pläne zur Neuversorgung erstellt? Wurden Schritte zur Klärung bzw. hat der Patient ein Verfahren eingeleitet, in dem Beweis über die Unbrauchbarkeit der Versorgung erhoben werden soll? Können diese Fragen bejaht werden, liegt ein Interessenwegfall nahe.

Weiterführend

Unbrauchbarkeit der Prothetik bei jahrelanger tatsächlicher Nutzung und Nachbesserung, in PA 07/2022, Seite 16

Unbrauchbarkeit und Nachbesserungsrecht: Wann entfällt der Honoraranspruch?, in PA 10/2015, Seite 2

Anja Mehling

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht
Zertifizierter Compliance Officer

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