Zahnimplantat

Zahnmedizinische Notwendigkeit einer Versorgung mit 18 BCS®-Implantaten

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LG Stuttgart, Urteil vom 08.08.2024, Az. 47 O 252/22

Zusammenfassung

Gegenstand war die geplante Einbringung von 18 BCS®-Implantaten bei der klagenden Patientin. Die gesetzlich versicherte Patientin unterhält bei der beklagten privaten Versicherung eine Zusatzversicherung. Ihr Zahnarzt hatte einen prothetisch-implantologischen Behandlungsplan erstellt, wonach insgesamt 18 BCS®-Implantate vorgesehen waren. Die beklagte Versicherung hatte die vollständige Kostenübernahme, den Behandlungsplan, abgelehnt. Sie hielt eine Deckelung auf 14 Implantate für medizinisch ausreichend, Behandlungsmaßnahmen in der beabsichtigten Form seien nicht medizinisch notwendig. 

Das LG stellte fest, dass die Versicherung ihre vertraglichen Pflichten verletzt habe, indem sie trotz medizinischer Notwendigkeit die Erstattung der implantologischen Behandlung ablehnte. Sachverständig beraten, bejahte das Gericht die medizinische Notwendigkeit der Versorgung. Medizinische Notwendigkeit liege vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar gewesen sei, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Das sei im Allgemeinen dann der Fall, wenn eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung stehe, die geeignet sei, die Krankheit zu heilen oder zu lindern. Seien mehrere Behandlungsmaßnahmen denkbar oder geeignet, bestehe die Leistungspflicht deshalb nur für diejenige, die mit dem geringsten medizinischen Eingriff und Behandlungsumfang verbunden sei.

Die Sachverständige habe festgestellt, dass die Klägerin zu Beginn der Therapie zahnlos gewesen sei. Maßgeblich bei der Behandlung mit Implantaten sei, dass die tragenden Konstruktionen ausreichend stabil seien, um die auf die Zähne und den Knochen einwirkenden Kräfte insbesondere beim Kauen auszuhalten. Wichtiger Faktor für die Wahl des BCS®-Implantatsystems bei der zahnlosen Klägerin sei, dass man keinen zusätzlichen Knochenaufbau benötige und dadurch dem Patienten weitere – nicht risikofreie – Operationen ersparen könne. Außerdem sei der Implantatverlust durch Entzündungen geringer. Herstellerseitig werde aufgrund der Bauart eine höhere Anzahl von Implantaten, nämlich 10 Implantate im Oberkiefer und 8 Implantate im Unterkiefer, empfohlen. Bei Unterschreitung übernehme der Hersteller keine Gewährleistung, es könne zu Schraubenbrüchen kommen. Eine Abweichung von den Herstellerempfehlungen sei medizinisch nicht vertretbar. 

Zwischenzeitlich hatte sich die Klägerin in der Türkei mit 14 herkömmlichen Schraubenimplantaten versorgen lassen. Die Sachverständige hatte daraufhin zunächst erklärt, die Kieferkammdicke der Klägerin sei für herkömmliche Schraubenimplantate ausreichend, es gebe ein ausreichendes horizontales wie auch vertikales Kieferknochenangebot, und danach die medizinische Notwendigkeit von BCS®-Implantaten verneint. Im Rahmen der mündlichen Anhörung führte die Sachverständige aus, die 18 BCS®-Implantate seien vertretbar, aber eine andere Technik als die nunmehr umgesetzten 14 herkömmlichen Implantate. Herkömmliche Schraubenimplantate hätten eine knöcherne Verheilung zur Folge, die BCS®-Implantate würden durch die glatt polierte Oberfläche nur zu einer Fixation führen. Dadurch seien BCS®-Implantate aber mit Herstellung des Zahnersatzes regelmäßig nach drei Tagen belastbar, bei herkömmlichen Implantaten müsse das Anwachsen im Knochen von etwa 2 bis 6 Monaten abgewartet werden. BCS®-Implantate würden hauptsächlich verwendet werden, wenn keine ausreichende Verankerung im Knochen möglich sei, ansonsten nehme man regelmäßig die herkömmlichen Implantate. Entscheide sich der Patient trotz ausreichendem Knochenangebot für die BCS®-Implantate, könne das durchgeführt werden. Ebenso hätte man anstelle der BCS®-Implantate auch die herkömmlichen Implantate nehmen können. Bei den herkömmlichen würden lediglich 14 Implantate benötigt, was weniger invasiv sei. Die BCS®-Implantate könnten nahezu sofort belastet werden und hätten bei Infektionen den Vorteil leichterer Reinigung und leichteren Austauschs. Beide Systeme seien aber legitim und möglich gewesen. Vor diesem Hintergrund bewertete das Gericht die Einbringung der BCS®-Implantate als vertretbar.

Anmerkung

Regelmäßig gibt es zwischen Zahnärzten, Patienten und deren Kostenträger Diskussionen über die medizinische Notwendigkeit von Implantaten, also die Indikation, ihre Anzahl bzw. Einschränkungen mit einer pauschale Obergrenze, behauptete Alternativen z.B. bei Einzelimplantaten wie Brückenversorgungen etc. Bei BCS®-Implantaten geht es häufig um die wissenschaftliche Akzeptanz der BCS®-Implantate, vor allem um die klinische Erprobung und Langzeiterfahrungen. Aus der Rechtsprechung ist eine leichte Tendenz erkennen, die medizinische Notwendigkeit der BCS®-Implantate zu bejahen. Entscheidend kommt es jedoch – und das ist bei allen Entscheidungen der Fall – auf die hinzugezogenen Sachverständigen, deren Qualifikation, Erkenntnisse und Erfahrungen, an. Die sorgfältige Vorbereitung einer außergerichtlichen wie gerichtlichen Auseinandersetzung beinhaltet, sich mit der fachlichen Materie auseinanderzusetzen, ggf. Publikationen oder Stellungnahmen der jeweiligen Berufsverbände und wissenschaftlichen Fachgesellschaften etc. einzubringen.

Anja Mehling

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht
Zertifizierter Compliance Officer

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