Zum Entzug der Approbation als Arzt und Zahnarzt nach Abrechnungsbetrug und Wiedererlangung der Würdigkeit nach über 10 Jahren

Startseite / Blog / Zum Entzug der Approbation als Arzt und Zahnarzt nach Abrechnungsbetrug und Wiedererlangung der Würdigkeit nach über 10 Jahren

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH), Urteil vom 03.07.2024, Az. 21 B 24.513

Zusammenfassung

Der Kläger wendete sich gegen den Widerruf seiner Approbation als Arzt und Zahnarzt. Bis 2007 war er als niedergelassener Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie tätig. Wegen mehrfachen versuchten und vollendeten Abrechnungsbetrugs gegenüber Privatpatienten wurde er vom Amtsgericht München im Jahr 2010 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Das Landgericht München I verurteilte ihn 2015 zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 50,00 EUR, was der Kläger akzeptierte. Anfang 2016 wurde die Approbation des Klägers wegen Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs und wegen Unzuverlässigkeit widerrufen.

Die Klage des MKG-Chirurgen hatte Erfolg.

Der VGH ging – zunächst noch übereinstimmend mit Vorinstanz, dem Verwaltungsgericht – davon aus, dass das strafrechtlich geahndete Verhalten des Klägers grundsätzlich geeignet sei, den Tatbestand der Unwürdigkeit zu erfüllen. Die korrekte Abrechnung der ärztlichen Leistungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen gehöre selbstverständlich zu den Berufspflichten, und die Gefährdung der finanziellen Basis der Kassen durch betrügerische oder leichtfertige Falschabrechnungen in großem Umfang stelle eine gravierende berufliche Verfehlung dar. Nichts anderes gelte für betrügerische Falschabrechnungen unmittelbar gegenüber Patienten. Es liege auf der Hand, dass die berufliche Pflicht zur ordnungsgemäßen Abrechnung der ärztlichen Leistungen unabhängig davon bestehe, ob es sich um Kassenpatienten oder Privatpatienten handele. Falschabrechnungen zum Nachteil von Privatpatienten würden nicht nur deren berechtigte Vermögensinteressen verletzen. Betrugstaten im Bereich privatärztlicher Abrechnungen schädigten darüber hinaus das Gesundheitssystem, wenn die privaten Krankenversicherungen und staatlichen Beihilfestellen nach Vorlage der Rechnungen durch die Versicherten und Beihilfeberechtigten für Leistungen aufkämen, die nicht angefallen oder die nicht so, wie abgerechnet, erbracht worden seien. Derartige Abrechnungsbetrugstaten gegenüber Krankenkassen und Patienten seien grundsätzlich schwere Straftaten mit unmittelbarem Bezug zum beruflichen Wirkungskreis des Arztes. Sie seien regelmäßig ohne Weiteres geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand des Arztes nachhaltig zu erschüttern, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos. Hieran gemessen sei das festgestellte Fehlverhalten des Klägers grundsätzlich als so schwerwiegend einzustufen, dass es geeignet sei, zu einem Ansehens- und Vertrauensverlust zu führen, der den Kläger für den ärztlichen Beruf als auf absehbare Zeit untragbar erscheinen lasse.

Jedoch habe der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Widerrufsvoraussetzungen (hier: Anfang 2016) seine Würdigkeit zur Ausübung des (zahn-)ärztlichen Berufs wiedererlangt. Auf diesen Zeitpunkt müsste abgestellt und geprüft werden, ob Umstände vorlägen, die dazu führten, dass von einer Berufsunwürdigkeit nicht oder nicht mehr ausgegangen werden könne. Der Bedeutung und Tragweite von Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) werde bei der Auslegung des Begriffs der Unwürdigkeit hinreichend Rechnung getragen, wenn nicht nur auf das jeweilige Fehlverhalten, sondern auch auf mögliche veränderte Umstände abgestellt werde, die eine abweichende Beurteilung der Berufsunwürdigkeit rechtfertigen könnten. Dafür müsste sich die Sachlage nachweislich „zum Guten geändert“ haben, nämlich der Arzt das für die Ausübung seines Berufes erforderliche Ansehen und Vertrauen zurückerlangt haben.

Grundsätzlich ist nach Ansicht des VGH ein bloßer Zeitablauf allein für die Wiedererlangung der Würdigkeit nicht ausreichend. Der VGH würdigte im Ergebnis, dass in dem fast zehn Jahre andauernden Zeitraum seit letzter Tathandlung bis zum Approbationsentzug keine Verfehlungen oder berufsrechtlichen Vorwürfe aufgetreten waren und der Kläger sich intensiv mit seinen Taten auseinandergesetzt habe. Ebenso wurde die lange Verfahrensdauer im Strafverfahren berücksichtigt. Der VGH ging davon aus, dass der Kläger nach alledem einen inneren Reifeprozess zur Kompensation der zu Tage getretenen charakterlichen Mängel durchlaufen und das erforderliche Ansehen und Vertrauen der Patienten in die Integrität der Ärzteschaft zurückerlangt hat. Abschließend wies der VGH auf ein Verwertungsverbot nach den Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) hin. Nach § 51 Abs. 1 BZRG dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden ist oder sie zu tilgen ist. Der VGH verneinte eine Durchbrechung des Verwertungsverbots, das auf Fälle beschränkt ist, in denen das durch das Berufsrecht geschützte Rechtsgut in qualifizierter Weise, was das Ausmaß der Gefährdung und den Stellenwert des Rechtsguts betrifft, berührt ist.

Anja Mehling

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht
Zertifizierter Compliance Officer

info@zahnarzt-anwalt.de
+49 40 32 55 80-13