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Zweiteilige Keramikimplantate und medizinische Indikation

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LG Berlin, Urteil vom 06.06.2023, Az. 24 O 184/21

Zusammenfassung

Vor kurzem ist die S3-Leitlinie 083-039 „Keramikimplantate“ auf AWMF online gegangen. Das Landgericht hat in seinem Urteil vom 06.06.2023 deren Fehlen zum Zeitpunkt der Entscheidung als Begründung herangezogen, die streitgegenständliche Versorgung mit zweiteiligen Keramikimplantaten nicht als Schulmedizin, sondern als alternative Medizin zu qualifizieren. Die klagende Patientin begehrte von ihrer privaten Krankenversicherung (PKV) Kostenerstattung für die zahnmedizinische Versorgung mit zweiteiligen Keramikimplantaten. Die PKV lehnte mit der Begründung, die gewählte Methode sei nicht der Schulmedizin zuzuordnen, ab. Das LG Berlin bestätigte die Auffassung nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Sachverständigen, dem es allerdings nicht folgte, und wies die gegen die Versagung der Kostenerstattung gerichtete Klage ab.

Zwar hielt das LG die Implantation grundsätzlich für medizinisch notwendig. Die Verwendung der zweiteiligen Keramikimplantate stelle jedoch im vorliegenden Fall eine Versorgung mittels nicht erstattungsfähiger Alternativmedizin dar, was sämtliche im Zusammenhang angefallene Kosten einschließe. An die Einordnung der Keramikimplantate als „Schulmedizin“ durch den Sachverständigen sah sich das Gericht in seiner rechtlichen Wertung nicht gebunden. Die Voraussetzungen der sog. Schulmedizinklausel seien nicht erfüllt. Schulmedizin i.S.d. Schulmedizinklausel – so das Gericht – könnten nur solche Behandlungsmethoden sein, deren Evidenz wissenschaftlich belegt sei, weshalb sie eine entsprechend breite und aufklärungsfreie Anwendung in der ärztlichen Praxis fänden. Dies sei für die Versorgung nicht der Fall. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei die Haltbarkeit der zweiteiligen Keramikimplantate mittels Langzeitstudien nicht belegt, wobei gerade die Verbindung der zwei aus Keramik gefertigten Teile des Implantates den Grund dafür bilde, dass man von einer geringeren Lebensdauer ausgehen könnte. Für die gerichtliche Einordnung der durchgeführten Versorgung als alternative Medizin, erklärte das Gericht, spreche als Indiz auch die Einordnung der Fachgesellschaften, die zum Behandlungszeitpunkt keine Empfehlung zur Verwendung in der S3-Leitlinie gaben und zudem bei Aufnahme einer solchen Empfehlung in der Zeit nach der Behandlung die Methode ausdrücklich als alternative Methode bezeichnet hätten. 

Anmerkung

Richtig ist, dass Langzeitdaten ausstehen und die Evidenzlage aus klinischen Studien niedrig ist. Soweit das LG allerdings noch nicht verbreiteten, neueren Methoden hiermit die Anerkennung versagen möchte, ist das falsch. Damit übersieht, verkennt das LG die Bedeutung von Leitlinien, die zudem teils überholt bzw. veraltet sind und sich nicht umfassend zum Stand der zahnmedizinischen Wissenschaft und Technik verhalten (können). Leitlinien können bei der Therapie unterstützen. Sie definieren allerdings nicht die medizinische Notwendigkeit. So heißt es auch wie üblich einleitend bei der Leitlinie Keramikimplantate: „Die „Leitlinien“ der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften sind systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte/ Zahnärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren und sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin, sollen aber auch ökonomische Aspekte berücksichtigen. Die „Leitlinien“ sind für Ärzte/ Zahnärzte rechtlich nicht bindend und haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung.“

Der gerichtliche Sachverständige hatte die medizinische Notwendigkeit und schulmedizinische Einordnung der Versorgung mit zweiteiligen Keramikimplantaten bestätigt. War das LG von den gutachterlichen Ausführungen nicht überzeugt, hätte es entweder ein weiteres Sachverständigengutachten einholen oder eigene Sach- und Fachkunde offenbaren müssen. Denn Fragen der medizinischen Notwendigkeit und Einordnung Schulmedizin vs. Alternativmedizin sind Sachfragen. Offenkundig hatte das Gericht keine eigene Sachkunde, die eine sachgerechte Beurteilung ermöglicht hätte. Schon deshalb wäre das Urteil angreifbar gewesen. 

Weiterführend

Stellungnahme der Konsensuskonferenz Implantologie , s.a. IMPLANTOLOGIE JOURNAL 5/24, S. 26

Anja Mehling

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht
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